Der EU AI Act – Pflicht oder Kür für KMU?
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„Müssen wir uns jetzt wirklich mit dem EU AI Act beschäftigen?“ – diese Frage höre ich in Gesprächen mit mittelständischen Unternehmen immer häufiger. Viele Verantwortliche haben das Gefühl: KI ist ein Thema für Konzerne, nicht für uns. Gleichzeitig setzen immer mehr KMU bereits heute auf KI – sei es bei Chatbots im Kundenservice, bei automatisierter Datenanalyse oder in der Qualitätskontrolle. Genau hier wird es spannend: Der EU AI Act macht keinen Unterschied, ob es ein DAX-Konzern oder ein Familienbetrieb ist. Entscheidend ist, wie und wofür KI eingesetzt wird.
Warum das Thema gerade jetzt relevant ist: Der EU AI Act tritt schrittweise in Kraft und wird die Rahmenbedingungen für KI europaweit einheitlich festlegen. Für KMU bedeutet das: Neue Pflichten, aber auch neue Chancen. Wer frühzeitig beginnt, kann nicht nur rechtliche Risiken vermeiden, sondern auch Vertrauen bei Kundinnen und Kunden sowie Geschäftspartnern gewinnen.
In diesem Artikel bekommst Du einen Überblick, was hinter dem EU AI Act steckt, warum auch kleine und mittlere Unternehmen betroffen sind und welche AI Act KMU Verpflichtungen sowie Chancen Dich erwarten. Außerdem schauen wir auf die Chancen, die sich durch eine proaktive Umsetzung ergeben – und warum der AI Act nicht nur Pflicht, sondern auch Kür sein kann.
EU AI Act erklärt: Hintergrund, Ziele und Abgrenzung
Der EU AI Act ist die erste umfassende Regulierung für Künstliche Intelligenz in Europa. Sein Anspruch ist ambitioniert: Er soll für alle Mitgliedstaaten einheitliche Regeln schaffen, wie KI entwickelt, eingesetzt und überwacht werden darf. Damit geht die EU einen ähnlichen Weg wie bei der DSGVO – nur dass es diesmal nicht um Datenschutz, sondern um den sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit KI geht.
Im Kern verfolgt der AI Act drei zentrale Ziele:
- Schutz von Grundrechten und Sicherheit. KI-Systeme dürfen Menschen nicht diskriminieren oder unkontrolliert Schaden anrichten.
- Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Nutzerinnen und Nutzer müssen erkennen können, ob sie mit einer KI interagieren und welche Daten dafür genutzt werden.
- Risikoorientierung. KI wird in verschiedene Risikoklassen eingeteilt – von „minimal“ bis „unzulässig“. Je höher das Risiko, desto strenger die Anforderungen.
Ein wichtiger Unterschied zu bestehenden Regelwerken liegt in der Fokussetzung:
- Die DSGVO regelt den Umgang mit personenbezogenen Daten – unabhängig davon, ob KI im Spiel ist oder nicht.
- Die kommende ISO/IEC 42001 beschreibt, wie Unternehmen ein Managementsystem für KI (AIMS) aufbauen können – vergleichbar mit ISO 27001 für Informationssicherheit.
- Der EU AI Act ist dagegen ein Gesetz, das für alle Marktteilnehmenden in der EU gilt. Er definiert konkrete Pflichten für Anbieter, Betreiber und Nutzende von KI-Systemen.
Damit wird der AI Act zu einem verbindlichen Rahmen, der sowohl rechtliche Mindeststandards setzt als auch die Basis für freiwillige Zertifizierungen wie nach ISO/IEC 42001 bildet. Für KMU ist das wichtig zu verstehen: Es geht nicht um Technikdetails, sondern um Regeln für verantwortliche Nutzung – und die betreffen Unternehmen jeder Größe.
EU AI Act KMU – warum auch kleinere Unternehmen betroffen sind
Ein weitverbreitetes Missverständnis lautet: „Der EU AI Act betrifft nur große Konzerne.“ Auf den ersten Blick wirkt das plausibel – schließlich denkt man bei KI oft an Hightech-Unternehmen, Forschungslabore oder globale Plattformen. In der Realität aber setzen längst auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) KI-Anwendungen ein, oft ohne es so zu benennen. Genau hier liegt die Relevanz: Der EU AI Act unterscheidet nicht nach Unternehmensgröße, sondern nach Art und Risiko des KI-Einsatzes.
Praxisnahe Beispiele
- Chatbots im Kundenservice: Viele KMU nutzen automatisierte Dialogsysteme, um Anfragen schneller zu beantworten. Diese Systeme können unter den AI Act fallen – vor allem, wenn sie Entscheidungen vorbereiten oder sensible Daten verarbeiten.
- Automatisierung in der Produktion: Von Qualitätskontrollen über vorausschauende Wartung bis hin zur Bildverarbeitung: KI hält Einzug in Fertigungsprozesse. Sobald Menschen oder sicherheitskritische Anlagen betroffen sind, gelten strengere Anforderungen.
- Datenanalyse im Handel oder Dienstleistungsbereich: Ob Nachfrageprognosen, Preisoptimierung oder Betrugserkennung – KI-gestützte Tools werden zunehmend Standard, auch bei kleineren Unternehmen.
Hinweis zu schützenswerten Daten
- Personenbezogene Daten (DSGVO) – z. B. Kundendaten, Bewerbungsunterlagen
- Vertrauliche Unternehmensinformationen (ISO 27001) – z. B. Finanz- oder Produktionsdaten
- Sicherheitsrelevante Betriebsdaten (NIS2) – z. B. Daten zu kritischen Prozessen oder Lieferketten
Der EU AI Act wirkt hier zusätzlich und verlangt, dass diese Daten in KI-Systemen nachvollziehbar, sicher und fair verarbeitet werden.
Branchen im Überblick
- Produktion: Maschinenbau, Lebensmittel oder Holzverarbeitung setzen KI zur Effizienzsteigerung ein.
- Handel: Personalisierte Empfehlungen, automatisierte Lagersteuerung oder dynamische Preisgestaltung.
- Dienstleistung: KI-gestützte Buchhaltung, Recruiting-Software oder Rechtsdokumentenanalyse.
Wusstest Du?
Auch KMU können Anbieter oder Nutzende von regulierten KI-Systemen sein. Wer z. B. eine Software entwickelt, die KI-Funktionen integriert, gilt als Anbieter – selbst wenn das Unternehmen nur 20 Mitarbeitende hat. Wer eine externe KI-Lösung nutzt, wird zum Betreiber und trägt Verantwortung für deren sicheren Einsatz.
Die Kernbotschaft: Größe schützt nicht vor Regulierung. Entscheidend ist, welche Systeme eingesetzt werden und wie diese ins Unternehmen eingebunden sind. Für KMU bedeutet das: Auch wenn der AI Act auf den ersten Blick „weit weg“ wirkt – in der Praxis ist er näher, als viele denken.
EU AI Act KMU Verpflichtungen: Was konkret auf Unternehmen zukommt
Für viele KMU ist die entscheidende Frage: Welche Pflichten bringt der EU AI Act ganz praktisch mit sich? Während die Verordnung komplex wirkt, lassen sich die Anforderungen auf drei zentrale Bereiche herunterbrechen.
1. Risikobewertung von KI-Systemen
Der AI Act unterscheidet zwischen unzulässigen, hochriskanten, begrenzt riskanten und minimalen Anwendungen. Für Unternehmen bedeutet das: Zuerst muss geprüft werden, in welche Kategorie die eingesetzten Systeme fallen. Ein Chatbot, der Kundenfragen beantwortet, fällt in der Regel unter die Kategorie „geringes Risiko“. Allerdings greifen für solche Systeme besondere Transparenzpflichten (Art. 52 AI Act): Nutzerinnen und Nutzer müssen erkennen können, dass sie mit einer KI interagieren.
Ein KI-System, das Bewerbungen vorsortiert oder Eignungstests bewertet, gilt nach EU AI Act immer als hochriskant. Auch Systeme, die Produktionsprozesse in sicherheitskritischen Bereichen überwachen, fallen typischerweise in die Hochrisikoklasse.
- Pflicht: Unternehmen müssen eine Risikoeinschätzung vornehmen und die Einordnung dokumentieren. Für Nutzer von KI-Tools bedeutet das: Sie müssen prüfen, ob das eingesetzte System korrekt integriert und sicher betrieben wird. Für Hersteller/Anbieter gelten weitergehende Anforderungen (u. a. umfassendes Risikomanagement, Datenqualität, Logging, menschliche Aufsicht).
- Kür: Wer zusätzlich ein eigenes internes Risikomanagement etabliert, zeigt Professionalität und schafft Vertrauen bei Geschäftspartnern.
2. Dokumentations- und Transparenzpflichten
Ein Kernpunkt des EU AI Act ist die Nachvollziehbarkeit. Unternehmen müssen aufzeigen können:
- Welche KI-Systeme im Einsatz sind
- Welche Daten genutzt werden
- Wie Entscheidungen nachvollzogen werden können
Für KMU bedeutet das: Eine saubere Dokumentation ist Pflicht. Sie schützt nicht nur rechtlich, sondern erleichtert auch die interne Steuerung.
- Pflicht: Grundlegende technische und organisatorische Dokumentation. Bei Hochrisiko-Systemen verlangt der EU AI Act zusätzlich u. a. ein Risikomanagementsystem, Daten- und Data-Governance-Kontrollen, Protokollierung (Logging), menschliche Aufsicht und Nachweise zur Robustheit (Art. 9–15).
- Kür: Ein verständliches Handbuch oder ein internes Dashboard, das Mitarbeitenden erklärt, wo KI eingesetzt wird – und warum. Dies erleichtert sowohl die interne Kommunikation als auch externe Nachweise (z. B. bei Kunden oder Aufsichtsbehörden).
3. Governance und Verantwortlichkeiten
Der AI Act verlangt, dass klare Zuständigkeiten definiert werden. Wer trägt Verantwortung, wenn ein KI-System fehlerhaft arbeitet? Gerade in KMU gibt es oft keine eigene KI-Abteilung. Umso wichtiger ist es, Verantwortung in bestehende Strukturen einzubetten – etwa bei IT-Leitung oder Compliance.
- Pflicht: Benennung einer verantwortlichen Person oder Stelle. Die Geschäftsführung bleibt jedoch in der Gesamtverantwortung (Organisationspflicht), auch wenn Aufgaben delegiert werden.
- Kür: Aufbau eines kleinen „AI-Governance-Teams“, das regelmäßig prüft, ob Systeme korrekt genutzt werden. Dies stärkt nicht nur die Compliance, sondern reduziert auch Haftungsrisiken für die Unternehmensleitung.
EU AI Act als Chance: Strategische Perspektiven für KMU
Auf den ersten Blick wirkt der EU AI Act wie eine reine Belastung: mehr Vorschriften, mehr Dokumentation, mehr Verantwortung. Doch wer genauer hinschaut, erkennt schnell: Für KMU steckt darin nicht nur Pflicht, sondern auch eine große strategische Chance.
Vertrauen und Reputation stärken
Unternehmen, die frühzeitig zeigen, dass sie KI verantwortungsvoll einsetzen, gewinnen Vertrauen bei Kundinnen und Kunden sowie Geschäftspartnern. Gerade im Mittelstand ist Reputation oft das wichtigste Kapital. Wer hier transparent kommuniziert und die Anforderungen des AI Act nicht nur erfüllt, sondern aktiv nutzt, positioniert sich als verlässlicher Partner in einem Markt, in dem viele noch unsicher agieren.
Synergien mit bestehenden Strukturen
Viele KMU haben bereits Erfahrung mit Managementsystemen, etwa durch Informationssicherheitsmanagement (ISMS nach ISO 27001), Business Continuity Management (BCM nach ISO 22301) oder durch regulatorische Anforderungen wie DSGVO und NIS2. Diese bestehenden Strukturen lassen sich direkt auf KI übertragen: Risikomanagement, klare Zuständigkeiten, Business-Continuity-Überlegungen und Dokumentationsprozesse sind keine neuen Konzepte – sie müssen lediglich um KI-spezifische Aspekte ergänzt werden.
Vorbereitung auf ISO/IEC 42001
Der AI Act ist nicht das Ende der Entwicklung, sondern der Anfang. Mit der kommenden ISO/IEC 42001 wird ein internationaler Standard entstehen, der beschreibt, wie Unternehmen ein vollständiges AI Management System (AIMS) aufbauen können – ähnlich wie ISO 27001 für Informationssicherheit. Unternehmen, die den AI Act jetzt ernst nehmen, bereiten sich automatisch auf diese Norm vor. Damit sichern sie sich langfristig einen Platz im Markt, in dem Zertifizierungen und Nachweise zunehmend als Eintrittskarte gelten werden.
Die strategische Perspektive lautet daher: Compliance ist nur die Basis – Wettbewerbsvorteile entstehen durch proaktive Umsetzung. Wer den AI Act nicht als lästige Pflicht, sondern als Investition in Zukunftsfähigkeit versteht, verschafft sich einen nachhaltigen Vorsprung.
Fazit zum EU AI Act: Was KMU jetzt mitnehmen sollten
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Der EU AI Act ist weder reine Bürokratie noch nur ein Thema für große Konzerne. Gerade KMU können profitieren, wenn sie die Anforderungen frühzeitig in ihre Prozesse integrieren. Pflicht und Kür schließen sich dabei nicht aus – wer heute freiwillig beginnt, spart morgen Aufwand und gewinnt Vertrauen.
Zentrale Takeaways
- Pflicht verstehen, Kür nutzen: Rechtliche Anforderungen sind das Minimum, freiwillige Maßnahmen bringen Wettbewerbsvorteile.
- Risikobewertung und Dokumentation sind Kernaufgaben: Sie schaffen nicht nur Compliance, sondern auch Klarheit im Unternehmen.
- Vorhandene Strukturen nutzen: ISMS, BCM und auch Anforderungen aus NIS2 bieten eine ideale Basis, um KI-Governance pragmatisch aufzubauen. Gerade für Unternehmen, die unter NIS2 fallen, lohnt sich die Verzahnung von Cybersecurity- und KI-Governance.
- Frühzeitige Umsetzung zahlt sich aus: Wer jetzt startet, ist besser vorbereitet auf kommende Standards wie ISO/IEC 42001.
Mini-FAQ
Was passiert, wenn wir nichts tun?
Unternehmen riskieren Bußgelder, Reputationsschäden und den Ausschluss von Ausschreibungen oder Partnerschaften.
Müssen alle KI-Anwendungen reguliert werden?
Nein – die Anforderungen hängen von der Risikoklasse ab. Viele Alltags-Tools sind „geringes Risiko“. Allerdings gelten für bestimmte Anwendungen zusätzliche Transparenzpflichten (z. B. Chatbots, Deepfake-Erkennung). Hochriskante Systeme – etwa bei Bewerbungsverfahren oder in sicherheitskritischen Prozessen – erfordern dagegen strenge Maßnahmen.
Reicht es, die gesetzlichen Mindestanforderungen zu erfüllen?
Formal ja – aber wer zusätzlich Kür-Maßnahmen ergreift, stärkt Akzeptanz, Vertrauen und Marktposition.
EU AI Act umsetzen: Was Du jetzt konkret tun kannst
Bevor der EU AI Act endgültig wirksam wird, lohnt es sich, im eigenen Unternehmen erste Schritte einzuleiten. Eine kurze Selbstprüfung hilft, den Überblick zu bekommen:
Quick-Check
- Habt Ihr erfasst, welche KI-Systeme aktuell im Einsatz sind?
- Ist klar dokumentiert, wofür diese Systeme genutzt werden und welche Daten einfließen?
- Gibt es eine verantwortliche Person oder Stelle, die den Einsatz regelmäßig überprüft?I
- Fragt Ihr bei Euren KI-Lieferanten aktiv nach Konformität mit EU AI Act und DSGVO?
Normverweis: Dieses Thema betrifft den EU AI Act sowie die kommende ISO/IEC 42001 (AI Management System). Beide setzen auf Transparenz, klare Verantwortlichkeiten und strukturiertes Risikomanagement.Starte mit einer einfachen Bestandsaufnahme Eurer KI-Systeme. Sie bildet die Grundlage für jede weitere Maßnahme – egal, ob Pflicht oder Kür.